Zum Wohl! Aber mit dem richtigen Glas

Hauptsache, das Glas ist voll? Zu kurz gedacht: Denn erst die richtige Glasform sorgt für vollendeten Genuss, beim Wein, beim Champagner, sogar beim Wasser. Sagt Sommelier Kai Schattner, der den traditionsreichen Glashersteller Stölzle Lausitz GmbH berät.
Geballtes Expertenwissen: Bei Stölze Lausitz werden jährlich bis zu 35 Millionen Gläser hergestellt und in die ganze Welt verkauft – in einem traditionsreichen Betrieb, für den schon um 1930 der Bauhaus-Schüler Wilhelm Wagenfeld völlig neue Akzente in der Formgestaltung setzte. Und Kai Schattner, der unter anderem Chefsommelier und stellvertretender Restaurantleiter im Restaurant „Ente“ im Hotel „Nassauer Hof“ in Wiesbaden und Sommelier der TV-Kochshow „Vox – Kochduell“ war. Gemeinsam mit dem Geschäftsführer von Sommelier-Consult Christian Frens ist er immer wieder als Berater für Stölzle Lausitz tätig. Wir unterhielten uns mit ihm über das spannende Thema, warum Getränke aus verschiedenen Gläsern anders schmecken.
Rotweinglas ist Rotweinglas – oder verlangen bestimmte Weine nach eigener Glasform?
Es gibt weltweit immer mehr Kelchglasserien, die sich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Rotweinkelche spezialisieren und den Anlass bieten möchten, ein weiteres Glas kaufen zu müssen. In ihrer Benennung sind die Gläser nach Rebsorten und/oder Regionen gegliedert. Diese Aufteilung wird immer unvollständig bleiben und ist für die meisten Weintrinker unverständlich. Aus meiner Sicht ist diese Flut an Kelchformen und ihre Benennung eher Marketing als Notwendigkeit.
Fakt ist allerdings, dass es weiche Rotweine mit feinkörnigem Gerbstoffgerüst gibt. Diese sollten im Ballonglas (großer runder Kelch) serviert werden. Daneben gibt es die sogenannten maskulinen Rotweine. Dies sind tanninbetonte Rotweine aus Rebsorten wie beispielsweise Cabernet Sauvignon, Syrah oder Granache. Diese präsentieren sich erfahrungsgemäß im langen Bordeauxkelch besser.
Unterschiedliche Weine verlangen also unterschiedliche Glasformen, eine Einteilung nach Charaktergruppen ist aber erheblich sinnvoller als andere Einteilungen.
Kelch oder Schale – was ist ideal für Sekt und Champagner?
Bitte keine Schale! Diese ist für ein Dessert ideal oder als nostalgische Reminiszenz. Und wenn das Sorbet mit Sekt übergossen werden soll, ist eine Schale sicher gut. Für den reinen Trinkgenuss aber nicht. Ein zum Rand verjüngter Kelch kanalisiert die feinen Aromen eines Schaumweines und ist deshalb die bevorzugte Glasform. Ob es dann ein Glas mit oder ohne Moussierpunkt sein sollte, darf gern diskutiert werden.

Kai Schattner
Welche Rolle spielt der Säuregehalt von Weißwein bei der Wahl des Glases?
Der Säuregehalt spielt bei der Glaswahl keine Rolle. Die Konzentration von Bukett (Aromendichte), Alkohol (Aromenträger) und Extrakt (nicht wasserlösliche Stoffe) sind vielmehr die Faktoren bei der Wahl der korrespondierenden Kelchform. Der oft genannte „Säurespoiler“, wie die Lippe am Mundrandbereich etwas despektierlich genannt werden kann, ist aus meiner Sicht wiederum mehr eine Marketingidee. Der Wein soll durch Glasformen ja nicht verbogen sondern unterstützt werden, damit er so schmeckt, wie er ist.
Für Wasser braucht man kein spezielles Glas – stimmt das?
Hier muss zwischen stillem Wasser und Wasser mit Kohlensäure unterschieden werden. Tests zeigen, dass ein verjüngter Kelch Wasser mit Kohlensäure frischer hält. Also empfiehlt es sich für Liebhaber von kohlensäurehaltigem Wasser, auf solche Gläser zurückzugreifen. Alle anderen dürfen sich weiterhin die Wasserkaraffe mit Gläsern aller Art servieren lassen.
Kann man die Qualität eines Glases schmecken?
Auch wenn man ein Glas intensiv ausleckt – als Kind, um den letzten Rest Pudding zu ergattern, als Erwachsener, den guten Tropfen bis zum letzten Rest zu genießen – schmecken kann man Glas nicht. Denn es ist absolut geschmacksneutral.
Aber auch wenn man Glas nicht schmecken kann, kann es das Geschmackserlebnis durchaus beeinflussen. Und das macht die Qualität eines Glases aus. Ein dickwandiges Glas oder ein Glas mit einem wulstigen Mundrand beispielsweise beeinflusst das unmittelbare Trinkerlebnis zweifelsohne negativ. Und ein schlecht verarbeitetes Glas mit spürbaren Nähten und Ansätzen hinterlässt haptisch einen schlechten Eindruck, der sich unterschwellig sicher auch auf das Trinkerlebnis und somit auf den subjektiven Geschmack auswirkt. Das Auge isst nicht nur mit, Auge und Hand sind auch beim Trinkgenuss beteiligt.
Jeder weiß, dass das Ambiente für den Genuss mit verantwortlich ist, dass Wein, der im Urlaub hervorragend geschmeckt hat, zu Hause oft nicht mehr so gut mundet. Diese subjektive Wahrnehmung kann ein qualitativ gutes oder schlechtes Glas ebenso positiv oder negativ beeinflussen – auch wenn das Material vollkommen geschmacksneutral ist.